Die Hospizbewegung und ihre kulturelle Dimension

Die Hospizbewegung und ihre kulturelle Dimension
ein Vortrag von Bernhard Bayer anlässlich der Ausstellung "Tod und Jenseits", Linden-Museum Stuttgart

"Der Tod ist das Problem der Lebenden" - mit dieser Feststellung trifft Norbert Elias den Punkt.

Was würde passieren, wenn wir den Tod hereinbitten? Ihn an unseren Tisch einladen und ihn als Bestandteil unseres Lebens akzeptieren würden?
  • "Um Gottes willen, wie kannst Du dich nur damit befassen?"
  • "Ich finde das ja ganz toll, aber ich könnte so etwas nicht!"
  • "Das muss Dich doch total runterziehen, wie kannst Du das nur aushalten?"
  • "Was sagt denn Deine Familie dazu, dass Du dich dauernd mit Tod beschäftigst."

So oder ähnlich, sind die Reaktionen, denen Menschen, die sich in der Hospizbewegung engagieren, fast täglich begegnen. Sind diese Menschen also Exoten? Todessehnsüchtige? Lebensunfähige? "Arme Krüppel", die sich lieber dem Tod zuwenden, weil das Leben zu kompliziert sein könnte?

Was macht die Hospizbewegung aus? Was bewegt diese Menschen? Was ist ihr Beitrag zu kulturellen Entwicklung unserer Gesellschaft?
Ich versuche mich heute Nachmittag der Herausforderung zu stellen, diese Fragen zu beantworten. Zu aller erst bin ich über dieses "kulturell" gestolpert. Hat die Hospizbewegung so etwas wie eine kulturelle Dimension?

"Kulturell" verstehe ich so: Es ist die Fähigkeit - und damit Aufgabe - des Menschen sein Umfeld, sein Leben, sein Miteinander aktiv zu gestalten. Er ist Mitgestalter der Schöpfung, er gibt ihr ein Gesicht und verleiht ihr Ausdruck und ist damit verantwortlich für sein Leben in all seinen Dimensionen: körperlich, geistig, sozial und spirituell.

Was aber kann ich angesichts des Todes noch gestalten?

Ist nicht gerade er der, der uns – neben der Geburt – eben gänzlich entzogen ist. Keiner weiss wirklich, wie Leben entsteht. Keiner kann wirklich genau erklären, was da passiert wenn ein Mensch die Grenze vom Leben in den Tod hinein überschreitet.

Er bleibt der Unverfügbare. Tod – sein ist eine Dimension, die wir letztlich nicht fassen können. Wir können nur sagen, was es nicht mehr ist: Kein Atmen mehr, keine Reaktion der Menschen mehr, kein Puls mehr, keinerlei Körperaktivitäten mehr – kurz: kein Leben mehr.

Zu allen Zeiten hat dieses Unfassbare die Menschen herausgefordert. Sie haben ihr Leben bestimmen lassen von diesem Geheimnis her. Die Philosophien und Religionen dieser Welt versuchen dieses quasi einzuholen, es – so gut es geht – handhabbar zu machen, begreifbarer.

Ganze Gesellschaften und ihre gesamte Kultur richteten sich in ihrer Lebensgestaltung an diesem Geheimnis aus. Einige der größten und eindrucksvollsten Bauwerke sind so entstanden. Ich denke z.B. an die Pyramiden und Tempel des alten Ägypten.

Wir begegnen im Laufe der Jahrhunderte und in den verschiedenen Kulturen dieser Welt ganz unterschiedlichen Reaktionen, wenn sie sich auf diese letzte unverfügbare Wirklichkeit eingelassen haben. Menschen, die die Türe nicht zugeschlagen haben, die sich haben berühren lassen, wurden ganz unterschiedlich aktiv und haben begonnen neu ihre Welt und ihr Leben zu verstehen und aus diesen Erkenntnissen heraus angefangen ihre Welt zu gestalten.

Ich möchte diesen Prozess darstellen, wie er sich in der modernen Hospizbewegung abgespielt hat. Ich möchte darstellen, wie sich das Verständnis von der Welt, vom Leben bei ihnen verändert hat und wie diese Menschen dann auch gestalterisch aktiv wurden:

  • 1. Die Wurzeln
  • 2. Die Hospizbewegung als Bürgerbewegung
  • 3. Drei Grundprinzipien (Cicely Saunders)
  • 3.1 Offenheit
  • 3.2 Einheit von Herz und Verstand
  • 3.3 Geistige Freiheit
  • 4. Das Erreichte
  • 5. Die Herausforderungen der Zukunft

1. Die Wurzeln

Der Beginn der modernen Hospizbewegung ist mit dem Wirken zweier herausragender Persönlichkeiten festzumachen:

In London gründete Dame Cicely Saunders 1962 das St. Christopher Hospice, nachdem sie lange Jahre als Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin in vielen Einrichtungen erlebt hat, wie Sterbende allein gelassen werden. Sie spürte ihrer eigene Unzulänglichkeit und fand sich nicht damit ab, dass "nichts mehr getan werden kann", wenn es dann ans Sterben geht. Sie entdeckt, dass es dringend notwendig ist, die Zeit des Sterbens als eine Zeit des Lebens aktiv zu gestalten. Sie setzt alles daran einen Ort zu schaffen, der ausgerichtet ist auf die Bedürfnisse sterbender Menschen. Sterbende Menschen sind lebende Menschen und haben Recht darauf diese letzte Lebensphase ihren Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.

"Ich denke, die Hospizarbeit versucht den Menschen folgendes zu sagen: Du bist wertvoll. Vielleicht bist du nicht sehr glücklich mit deinem Leben, aber wir können dir helfen, mit dir selbst glücklicher zu werden – mit dieser einzigartigen Person, die niemand sonst sein kann." (C. Saunders in einem Interview 1996)

Aus dieser Haltung heraus hat jeder sein Recht darauf, seine ganz eigene Reise zu gestalten, wie auch immer es ihm/ihr entspricht.

Die zweite Persönlichkeit ist Elsabeth Kübler-Ross. Sie macht ebenfalls zu Beginn der 60iger Jahre etwas Ungeheuerliches: Sie setzt sich an die Betten sterbender Menschen und interviewt diese. Sie bricht damit ein Tabu. Sie geht – entgegen der damaligen üblichen Einstellung – davon aus, dass diese Menschen Wesentliches zu sagen haben. Etwas, das sich lohnt aufzuschreiben. Nicht der Profi ist der Experte, der weiß, wie es zu gehen hat, sondern der Sterbende selber ist der Wissende, der der den Überlebenden Wesentliches mitzuteilen hat. Sie hört den Menschen zu, sie lässt sie selber zu Wort kommen und hat damit eine wirkliche Revolution in Gang gebracht, die schließlich nicht nur Menschen beeinflusst hat, sondern sich auch institutionell ausgewirkt hat. Es fand ein Paradigmenwechsel statt – schließlich auch im deutschen Gesundheitssystem. Der Betroffene ist der Experte, die Profis haben sich an seinen Bedürfnissen zu orientieren.

Diese beiden Frauen und all diejenigen, die von ihnen inspiriert sich in der modernen Hospizbewegung engagiert haben, konnten dabei auf Traditionen zurückgreifen, die im Umgang mit sterbenden Menschen und mit dem Tod auch in unserem Kulturkreis zu finden waren, die allerdings zu jenem Zeitpunkt verschüttet und vergessen waren. Lassen Sie mich drei dieser Wurzeln benennen:

a) Hospize im Mittelalter
Das älteste Siegel des Ordens vom Hospiz des Hl. Johannes in Jerusalem (Hospitaliter, Johanniter, Malteser) – das erste Hospiz im 11. Jahrhundert in Jerusalem. Für kranke und sterbende Pilger, aber auch für Einheimische ohne Ansehen der Herkunft und der Religion.

Ihre Einstellung: "Wir dienen dem Herren Kranken" – dies bedeutete in allen Jahrhunderten, die Ausrichtung an den jeweils neuesten Erkenntnissen der Medizin, der Pflege und der Hygiene. Bereits in Jerusalem arbeiteten muslimische Ärzte, da deren Wissen zu jener Zeit wesentlich größer war, als das abendländischer Mediziner. Das Ordenssiegel drückt die Haltung gegenüber den Kranken aus:

Der Dienst am Kranken bezieht den Körper und die Seele mit ein. Es vermittelt den Eindruck eines Kirchen-Innenraumes. Auf dem Bett liegt ein Kranker, das Sicht zur Seite gewandt. Im Hintergrund, in einer Kuppel hängend, das "ewige Licht", das den Kranken an die dauernde Gegenwart Gottes erinnert. Ein geschwenktes Rauchfass deutet die Ehrerbietung und den Respekt den Kranken gegenüber an und symbolisiert die Gebete der Brüder für die Genesung.

b)Ars moriendi

In früheren Generationen war das Verhältnis zum Tod anders. Sicher auch dadurch bedingt, dass der Tod wesentlich näher, bedrohlicher und noch viel unberechenbarer war als zu unserer Zeit. Es gab wesentlich mehr unbeherrschbare Krankheiten und Epidemien. Kriegerische Auseinandersetzungen gehörten fast zum Alltag. Das Leben war wesentlich unplanbarer und der "Gevatter Tod" ein ständiger Begleiter. Es galt mit ihm zu leben, besser, von ihm zu lernen, wie Leben geht.

"Lernet zu sterben und ihr werdet lernen zu leben. Niemand lernet zu leben, der nicht gelernt hat zu sterben."

Diese Tradition fand z.B. in den Totentänzen ihren Ausdruck, aber auch in zahlreichen Mysterienspielen, die bis heute Menschen faszinieren.

Bild entfernt.
Inszenierung "Brandner Kaspar" (Franz von Kobell), copyright Malteser Hilfsdienste
 

Zeitweise wurde der Tod in solchen Spielen auch durchaus sehr menschlich dargestellt. Hier eine Szene aus einer Inszenierung des "Brandner Kaspar", der es schafft, den Tod dazu zu kriegen um sein Leben zu spielen.

In der Hospizbewegung finden wir diese Bewegung wieder. Nur wenn wir uns dem Tod, als einem Teil unseres Lebens stellen, stellen wir uns unserem Leben ganz. Alles andere ist eine Verkürzung, eine Verstümmelung des Lebens. Spirituell heißt dies: "Würden wir nur verstehen mit dem Tod umzugehen, hätten wir die wichtigste Lektion des Lebens gelernt: uns selbst ins Auge zu schauen und so mit uns und unserer Menschlichkeit zutiefst ins Reine zu kommen." (Sogyal Rinpoche)

c) Die gelebten Traditionen

Die Ausgrenzung und Stigmatisierung Sterbender und damit des Todes sind eine relativ junge Entwicklung in unserer Gesellschaft. Sie ging einher mit dem medizinischen Fortschritt und den wirtschaftlichen Umwälzungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Familienstrukturen lösten sich – meist wirtschaftlich – bedingt auf. Nicht mehr die dörfliche, meist landwirtschaftlich tätige, und in großfamiliären Strukturen lebende Bevölkerung war vorherrschend, sondern die Kleinfamilie, die gezwungen war, dort zu leben, wo es Arbeit gab. Die meist in Städten angesiedelten Industrien waren die neuen Erwerbszweige, die Arbeit und damit Lohn boten. Wohnraum für eine Großfamilie war unerschwinglich. Für die Alten, die zumindest nach dem zweiten Weltkrieg in unserer Gesellschaft auch immer älter wurden, mussten neue Lösungen gefunden werden. Diese hießen: Altenheime, Pflegeheime – Ghettos, die zwar in der Regel einen Raum boten, dort die letzten Lebenstage zu verbringen. Wenn es ans Sterben ging, dann hieß die Lösung auch dort – oft auch heute noch: Krankenhaus.

Sterben wurde zu einer Krankheit. Sollen doch dafür die Fachleute fürs Gesundwerden die Verantwortung übernehmen. Nur reagierten diese genauso mit Hilflosigkeit, wie die gesamte Gesellschaft. Ihr Job war: Gesundmachen und eben nicht Sterben-lassen.

Ich selber habe in den 70iger Jahren in den Semesterferien im Krankenhaus gearbeitet. Ich kenne noch die Sterbenden, deren Bett ins Bad geschoben wurde.

Noch leben viele unter uns, die das anders kennen – so wie Edvard Munch dies in seinem Werk "Tod im Krankenzimmer", 1895, darstellt. Allerdings werden es immer weniger. Geblieben ist bei vielen Menschen die Sehnsucht: Sterben, zu Hause, nicht allein, umgeben von den Menschen, die mir im Leben wichtig waren. Dies wurde zum Leitbild der Hospizbewegung: Wenn immer es geht, Menschen, wenn sie dies wünschen, dies zu ermöglichen.

2. Die Hospizbewegung als Bürgerbewegung

Wer sind nun diese Menschen in der Hospizbewegung. Es sind Menschen in allen Lebensaltern, aus allen Berufen und gesellschaftlichen Verhältnissen.

Diejenigen, die die Hospizbewegung in Deutschland in Gang gebracht haben, waren meist Menschen, die diese eben beschriebene Realität des Sterbens in unserer Gesellschaft sehr schmerzhaft erlebt haben beim Sterben eines Angehörigen. Sie bekamen in ihrer eigenen Hilflosigkeit keine Antwort. Sie wurden allein gelassen. Keiner stand ihnen zur Seite. Die sogenannten Experten, medizinisches, aber auch seelsorgerliches Personal, zogen sich zurück. Es gab keine tragenden, verbindlichen Traditionen mehr, die in einer solchen Ausnahmesituation ein Gerüst geboten hätten.

Aus diesem ihrem eigenen Erleben heraus, wurden sie aktiv. Sie orientierten sich in den 80iger Jahren an dem, was bereits vor allem in England und Amerika gewachsen waren und setzten sich für eine neue Kultur des Sterbens in unserer Gesellschaft ein. Sie warteten nicht darauf, bis irgendwelche Experten oder gesellschaftlich relevante Gruppen aktiv wurden, sondern sie suchten Gleichgesinnte und begannen an einer neuen Wirklichkeit zu arbeiten. Dies war nicht willkommen. Sie wurden sehr kritisch beäugt. Die Verantwortlichen in unserem Gesundheitssystem warteten nicht darauf, dass ihnen jemand sagt, sie müssten grundlegend etwas verändern. Sie spürten sehr wohl, dass hier ein kritisches Potential heranwuchs, das ihre Arbeit hinterfragt und kritisiert. Auch die Kirchen wehrten sich zunächst gegen diese Bewegung. Schließlich war das Sterben und der Tod ihre ganz ureigene Domäne. Da konnten nicht einfach irgendwelche "Laien" sagen, dass sie es eigentlich besser wissen.

Allerdings muss auch dazu gesagt werden, dass die Kirchen sehr schnell gelernt haben und zu einem der wichtigsten Förderer der Hospizbewegung in Deutschland wurden.

3. Drei Grundprinzipien

Was sind die grundlegenden Werte und Haltungen, die hinter dem stehen, was die Hospizbewegung aufbaute? Ihr Ziel war und ist, einen neuen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in unserer Gesellschaft zu etablieren. Es sollen neue, unserer Zeit angemessene, gesellschaftliche Traditionen etabliert werden, die betroffenen Menschen – Sterbende und ihren Angehörigen – in der Zeit des Sterbens und des Trauerns Halt geben können.

Cicely Saunders nennt folgende Prinzipien:

3.1 Offenheit

  • Offenheit gegenüber der Welt - wir brauchen nichts zu verdrängen
  • Offenheit der Welt gegenüber den Patienten und ihren Familien - sie stehen im Mittelpunkt all unseres Bemühens, von ihnen aus denken und handeln wir
  • Offenheit untereinander - Hospizarbeit geht nur im Team
  • Offenheit für das Jenseitige - der Tod führt uns an Grenzen
  • Offenheit für neue Herausforderung - institutionell, gesellschaftlich, politisch

3.2 Einheit von Herz und Verstand

Hospiz umfasst alles, was mit dem Verstand zusammenhängt – den ganzen wissenschaftlichen Anspruch, das Experimentieren, das Forschen und Studieren und auch wissenschaftliche Erkenntnisse über Familiendynamik und menschliches Denken und Fühlen - Hospiz ist keine "Bauchsache" - z.B. Schmerztherapie - aber niemals vom Menschen abgehoben:

All das muss aber immer mit einer Freundschaft des Herzens verbunden sein – mit einer individuellen und persönlichen Fürsorge und Beziehung

3.3 Geistige Freiheit

(David) – er hinterließ mir das sichere Gefühl, dass er seine Antworten gefunden hatte, und die Überzeugung, dass all unsere Fürsorge dem anderen absolute Freiheit lassen muss, damit er seinen eigenen Weg und Sinn finden kann. - Wir sind bei aller Erfahrung keine Sterbeexperten. Keine Mission, keine Bevormundung, kein Besserwissen.

Grundlegende Haltung im Zen-Hospiz in San Franzisko: "Bleib nah dran und tu nichts."

Zusammenfassend:
Einsatz für eine menschenfreundliche Gesellschaft, in der es gelingt, die Würde des Menschen auch am Ende seines Lebens die Achtung zu erweisen, die ihr gebührt.

4. Das Erreichte

Was wurde nun in den letzten zwanzig Jahren erreicht? Wo wurde die Hospizbewegung zu einer gestaltenden Kraft in dieser Gesellschaft?

Ich möchte zunächst eine "Errungenschaft" nennen, die sich nicht quantifizieren lässt, die aber – so bin ich zutiefst überzeugt – diese Gesellschaft und ihr Miteinanderleben nachhaltig prägt und beeinflusst:

Die Tatsache, dass sich sehr viele Menschen in all den Kursen, Seminaren und Schulungen der Hospizeinrichtungen in all den Jahren mit ihrem eigenen Sterben, mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandergesetzt haben, ist meiner Meinung nach gar nicht hoch genug einzuschätzen. Es gibt keine andere Bewegung oder Institution in unserem Land, in der dies Menschen so tun können. Der "Gewinn" mag zunächst sehr individuell sein. Ich komme besser klar mit meinem eigenen Leben, mit den Bedingungen und Begrenzungen menschlichen Daseins überhaupt. Dies verändert aber Menschen, und die so veränderten Menschen prägen wiederum ihr Umfeld.

Dieses bereits zitierte: Lernet zu sterben und ihr werdet lernen zu leben – lässt sich nur ganz individuell umsetzen. Je mehr Menschen dies tun, umso mehr verändert sich das Gesicht einer Gesellschaft. Familien, Gruppen, Gemeinden, profitieren von Menschen, die gelernt haben, sich selber und ihrem Umfeld mit Mitgefühl zu begegnen.

Vielleicht bin ich an diesem Punkt ideologisch und betriebsblind. Aber ich schätze es, sehr vielen Menschen begegnen zu dürfen, die sich da weiterentwickelt haben. Ich schätze es, dass in der Hospizbewegung – nicht immer, aber doch meist – andere Gesetzmäßigkeiten im Umgang miteinander gelten, als dies gemeinhin gesellschaftlich üblich ist. Ich habe hier auch sehr bewusst die derzeitigen "Berliner Verhältnisse" im Hinterkopf.
Was entstand noch in den letzten Jahren, was kann die Hospizbewegung vorweisen:

  • Eine große Zahl ehrenamtlich engagierter Menschen – entgegen dem gesellschaftlichen Trend – die viel Zeit und Engagement mitbringen
  • Neue Strukturen im Gesundheitswesen: Hospizdienste, stationäre Hospize, Palliativstationen in den Krankenhäusern
  • Ein Umdenken in Institutionen wie Pflegeheimen, Krankenhäusern und Pflegediensten
  • Lehrstühle für Palliativmedizin
  • Themen wie Sterben, Tod und Trauer sind im Vergleich zu den Anfangszeiten der Hospizbewegung wesentlich präsenter in den Medien

Prof. Dr. Rochus Allert, Köln, kommt in einer Untersuchung zu den Erfolgsfaktoren für Hospize 2005 zu folgendem Fazit:

"Hospize und die Hospizbewegung stellen derzeit die adäquate Antwort auf gravierende gesellschaftliche und medizinische Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland dar; die Hospizbewegung hat sich in der Praxis bewährt trotz Weiterentwicklungsbedarf im Detail.

Die Hospizbewegung war binnen weniger Jahre erfolgreich, spürbare Fortschritte an Humanität für Schwerstkranke und Sterbende zu verbinden mit einer Begrenzung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen."

Und:

"Somit stellen, empirisch belegt, das Hospiz und die Hospizbewegung einen in jüngster Zeit beispiellosen Erfolgsfaktor im bundesdeutschen Gesundheitswesen dar und sind aktuell der überzeugende und innovative Entwicklungsschritt."

5. Die Herausforderungen der Zukunft

Die Hospizbewegung ist in einer Konsolidierungsphase. Das bisher Erreichte muss tragfähige Strukturen bekommen, die auch finanziell in einem berechenbaren Rahmen bleiben. Die Anfänge sind gemacht. Die Politik ist gefordert, diese finanziellen Rahmenbedingungen auf Dauer zu sichern.

Innerhalb der Bewegung ist die derzeitige Entwicklung – von der Gründerphase hin zu der Konsolidierungsphase mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Hier ist viel Engagement aller Beteiligten notwendig, diesen Schritt so zu vollziehen, dass die Grundanliegen und Ideale der Gründergeneration nicht verloren geht. Die Einrichtungen dürfen nicht mehr Energie investieren, sich selber zu erhalten, als dafür, ihren Auftrag zu erfüllen. Den Beweis, ob sie diesen Übergang hinbekommt, muss die Hospizbewegung noch erbringen.

Gesamtgesellschaftlich bleibt die Herausforderung, sich der Diskussion um die aktive Sterbehilfe zu stellen. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Grundanliegen und das Angebot von Hospizarbeit und Palliativmedizin muss noch bekannter werden und für die Mehrheit der Bevölkerung als ein realistisches und hilfreiches Angebot wahrnehmbar werden. Wir werden in dieser Diskussion nur dann bestehen, wenn wir die Wünsche der Menschen hören und sie nicht diffamieren, wenn sie aktive Beendigung ihres Lebens als einzigen möglichen Ausweg sehen.

Ich bin überzeugt, dass eine Hospizbewegung mit einer derart kulturellen Dimension für diese Arbeit auch mit Unterstützung rechnen darf.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Bernhard Bayer, ehemaliger Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Baden-Württemberg e.V.


Diese Seite wurde redaktionell vom Hospiz- und PalliativVerband Baden-Württemberg e. V. erstellt und ist urheberrechtlich geschützt. Die Rechte des Textes liegen beim Autoren, Herrn Bernhard Bayer, Stuttgart, dem wir für die Genehmigung zur Veröffentlichung herzlich danken.